Freies Projekt Illustration:



Journalistischer Meinungsartikel mit politischen Illustrationen

Titel: Die Spieler

Text und Grafik: Jan Wyes

Scroll runter

I

In den vergangenen Jahren erstarken überall auf der Welt wieder vermehrt nationalistische und populistische Kräfte. Von der Globalisierung wird dabei ein Feindbild gezeichnet, welches für systemische Probleme wie hohe Arbeitslosigkeit und steigende Kriminalitätsraten verantwortlich sein soll und nicht zuletzt den persönlichen Wohlstand jedes Einzelnen bedroht.

Wann diese Entwicklung ihren Lauf nahm, ist schwer nachzuvollziehen, aber das Bild des „ausländischen Aggressors“ beispielsweise dürfte spätestens mit den Ereignissen am 11. September 2001 Konturen angenommen haben. Der Kampf gegen „den unsichtbaren Feind“, über den man aber doch mindestens soviel weiß, als dass er nicht zur westlichen Welt gehört und überhaupt äußerlich und kulturell ganz gut von „uns“ zu unterscheiden ist, dieser Kampf dauert bis heute an. Vielleicht war es die nicht ganz absehbare, aber dennoch leichtfertig in Kauf genommene Tragweite dieses damals genutzten Narrativs, die der heutigen gesellschaftlichen und politischen Situation vieler Staaten Tür und Tor geöffnet hat.

O

Ohne Zweifel erschüttern und verängstigen uns die Taten und ihre Bilder von damals auch heute noch und dennoch können auch die Reaktionen darauf heute in jeder Hinsicht als beispiellos bezeichnet werden. Neben zwei Kriegen, in Afghanistan und im Irak, wurden im Zeichen des „Kampfes gegen den Terror“ Sicherheitsbehörden in vielen Ländern mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet und Einreisebestimmungen verschärft. Nicht zuletzt sahen sich die USA selbst auch immer wieder mit dem Vorwurf der Menschenrechtsverletzung konfrontiert – im Gefangenenlager Guantanamo sitzen noch heute etwa 40 Menschen in Haft.

S

Schon damals wurden die Anschläge nicht als Angriff auf ein Land oder einen Kontinent bezeichnet, es war „ein Angriff auf die freie Welt“. Bilder von brennenden US-Flaggen wurden durch ihre Omnipräsenz und das begleitende Framing in den Medien zum Symbol des Hasses auf „unsere“ demokratischen Werte wie die Freiheit und Gleichberechtigung des Einzelnen und verschafften einem langen und verlustreichen Krieg die nötige Langzeit-Legitimation in der Bevölkerung.

Doch wie ernst gemeint kann die Verteidigung solcher Werte sein, wenn es auf einmal wieder eine Rolle spielt, welchen Glauben oder welche Hautfarbe man hat? Wenn Begriffe wie „Migrationshintergrund“ gefunden und medienwirksam genutzt werden und einem vermitteln, dass man in seinem Leben, ja selbst im Leben seiner Kinder und seiner Enkel nie wirklich dazugehören wird? Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass diese Werte, die hier beschützt werden sollen, ganz banal finanzielle, also Geld-Werte sind?

D

Dieses Eindrucks kann man sich jedenfalls nicht erwehren, wenn man beobachtet, wie sich ganz aktuell in den USA die Proteste der „Black Lives Matter“-Bewegung entwickeln oder welche Politik an den europäischen Außengrenzen praktiziert wird. Offensichtliche – und in vielen Fällen auch tödliche – Ungleichbehandlungen werden heruntergespielt, ja sogar als „Fake News“ propagiert und Proteste dagegen bei jeder Gelegenheit diskreditiert oder gar gewaltsam niedergeschlagen. Menschen, die vor Krieg, Gewalt und Zuständen in ihren Heimatländern fliehen, an denen an mindestens einem Punkt in der Geschichte auch immer die westliche Welt mitverantwortlich ist, werden als „Asyltouristen“ und Gefahr für unsere Demokratie bezeichnet.

D

Doch warum funktioniert das? Wie können die Donald Trumps, die Björn Höckes und Matteo Salvinis dieser Welt mit dieser Politik solche Erfolge feiern, die Gesellschaft gegeneinander ausspielen und uns ganz nah an den Rand der dunkelsten Stunden unserer jüngeren Geschichte bringen? Es ist im Grunde die Kehrseite des vielleicht einmal gut gemeinten „Jeder kann es schaffen“-Prinzips, welches an einem Punkt angekommen ist, an dem wir uns durch Verzicht, durch Selbstoptimierung und natürlich mit Schweiß und Tränen kurz davor sehen, die Ziellinie zu überqueren und es ganz nach oben zu schaffen.

D

Die Mittelschicht wird so groß geredet und in einen Gefühlszustand versetzt, in dem man nur noch einen ganz kleinen Schritt vom Klassenaufstieg entfernt ist, dass sich damit auch die Angst breit macht, so viel wie noch nie verlieren zu können. Und an diesem Punkt ist die Gesellschaft so tief gespalten, so sehr darauf bedacht, ihren hart erarbeiteten Wohlstand zu sichern, dass für den Erhalt dieses Konstrukts und der damit verbundenen Macht nur der geringste Zweifel an den Absichten des Nebenmannes oder eines Andersdenkenden gesät werden muss.

D

Das System funktioniert nicht, wenn es für ein kleines „Oben“ nicht auch ein umso größeres „Unten“ gibt, das diese Ordnung bereitwillig aufrecht hält. Das bequeme am neu aufkeimenden Nationalismus ist, dass man, ganz im Sinne von „America First“, mit einfachen populistischen Mitteln, einem vermeintlichen „Wir“ gegen „Die“, die Ängste der Menschen vor dem Fremden bedienen und potenzieren kann und sowohl Medien als auch die anderen politischen Akteure in diesem Spiel glauben, nur die Wahl zwischen hilflosem Zuschauen oder stiller Zustimmung zu haben.

Text: Jan Wyes
Illustrationen: Jan Wyes
Dozent: Prof. Jochen Stücke
Ein freies Projekt im Fach Illustration